Händler und Sachverständiger im Interview
„Ich habe in 40 Jahren nur einmal eine echte Fehlprägung in meiner Brieftasche gefunden!“
Guy Franquinet ist Münzhändler und vereidigter Sachverständiger für deutsche Münzen ab 1871 sowie Euro-Umlaufmünzen. Er selbst hat über 1.000 Fehlprägungen im Sortiment und beantwortet täglich Fragen zu Fehlprägungen. Im Gespräch macht er deutlich, warum das Interesse an Raritäten aus dem Wechselgeld auch für ihn als Profi nachvollziehbar ist und was in numismatischer Hinsicht die Spreu vom Weizen trennt.
Das Thema „Fehlprägungen“ interessiert offenbar Millionen Menschen in Deutschland, die eigentlich nicht zum engeren Kreis der Numismatiker gezählt werden. Was ist an diesem Thema aus Sicht eines Sachverständigen interessant – was macht für Sie ganz persönlich den Reiz einer Fehlprägung aus?
Franquinet: Fehlprägungen sind sehr gefragt und begehrt, weil die Menschen gerne etwas haben, was andere nicht haben. Fehlprägungen sind Münzen, bei denen im Prozess der Massenprägung zufällig ein Fehler entstanden ist. Die Bandbreite der Fehlprägungen reicht von einfachen Abweichungen von der Norm beim Prägevorgang, beispielsweise in Form eines Fehlschlages, einer Dezentrierung, einer Rondenverwechslung oder einer Stempeldrehung, bis hin zu exotischen Erscheinungen – beispielsweise eine 50-Cent-Münze aus Deutschland, die mit dem Rückseitenstempel der 1-Euro-Münze geprägt wurde und dementsprechend anstelle des Brandenburger Tors den Adler zeigt.
Können Sie an einem Beispiel deutlich machen, was eine „echte“ Fehlprägung ist und warum sie wertvoll ist?
Franquinet: Ganz allgemein lässt sich sagen, dass eine Fehlprägung dann wertvoll ist, wenn sie von vielen Sammlern für interessant befunden und gesucht wird. Wenn eine Fehlprägung wie die bereits angesprochene 50-Cent-Münze von 2002 aus Karlsruhe, wo statt des Brandenburger Tors der Adler auf der Rückseite abgebildet wurde, als wiederkehrendes Phänomen auf wenigen hundert Stücken auftritt und die Optik der Münze dadurch jedem Sammler sofort ins Auge springt, werden diese Stücke natürlich von einer größeren Anzahl von Sammlern gesucht. In Einzelfällen, und dazu gehört die besagte Münze, werden Fehlprägungen auch in Münzkataloge aufgenommen.
Was genau versteht man unter einer Fehlprägung bei Münzen, und wie entstehen diese im Prägeprozess?
Franquinet: Grundsätzlich verstehe ich unter einer Fehlprägung eine falsch geprägte Münze, bei der ein Fehler auch eindeutig erkennbar ist. Wenn man eine Lupe braucht, um kleinste Abweichungen zu sehen, dann können wir hier noch nicht von einer Fehlprägung sprechen. Viele Münzen wechseln in Deutschland an einem Tag gleich mehrfach den Besitzer. Wenn diese Münzen also schon sehr viele kleine Schäden haben, die aber mit bloßem Auge kaum erkennbar sind, dann handelt es sich sicher nicht um Fehlprägungen, sondern um alltägliche Abnutzung.
Wichtig ist, dass eine Fehlprägung nicht zwangsläufig während des Prägevorganges entstehen muss, sondern auch davor entstehen kann, niemals aber nach der Prägung! Es gibt Maschinen, bei denen der Ring (der äußere Rand) und die Pille (der Innenteil) einer Bimetallmünze getrennt geprägt werden. Wenn diese beiden Teile der Münze zusammengefügt werden, kann es sein, dass die Pille nicht richtig in das Loch hineinpasst – dann entsteht das so genannte „Spiegel-Ei“. Dabei handelt es sich um eine anerkannte Fehlprägung, die mehrere hundert Euro erzielt. Diese Form der Fehlprägung ist beliebt, weil die Münze dadurch eine ganz andere Ästhetik bekommt, wenn die Pille bis zum Rand geht.
Mit welchen Fehlprägungen werden Sie in Ihrer Arbeit oft konfrontiert, die keinen Sammlerwert haben?
Franquinet: Die Klassiker sind hier die Zwei-Euro-Münzen, die überall als seltene und wertvolle Fehlprägungen propagiert werden. Da muss ich den Leuten dann ganz geduldig und höflich sagen: Solche Erscheinungen sind ganz normal. Münzen werden in Brieftaschen getragen, sie fallen auf den Boden und bekommen Dellen oder liegen einige Zeit draußen, wodurch sie sich verfärben. Das ist völlig normal, das kann passieren, aber deswegen gibt es natürlich keinen höheren Wert für solche Münzen. Das ist sehr wichtig. Etwa ein Drittel aller Münzen, die ich vorgelegt bekomme, sind ganz normale Münzen aus dem Umlauf.
Besonders ärgerlich ist es, wenn die Veränderung mutwillig herbeigeführt wurde, also wenn beispielsweise jemand mit dem Hammer draufgeschlagen oder die Münzen in irgendeiner Chemikalie gebadet hat. Ich erkenne sowas sofort, aber für viele Leute sind Fehlprägungen so begehrt, dass sie gerne aus einer normalen Münze eine wunderbare Fehlprägung machen. Und so mancher ungeduldige Zeitgenosse bekommt dabei sofort Dollar-Zeichen in den Augen.
Beim Durchsehen von vermeintlichen Fehlprägungen in Online-Auktionen ist auffällig, dass besonders häufig Umlaufmünzen aus Ländern wie Belgien oder Spanien auftauchen. Wie lässt sich dies erklären? Gibt es bei den Ronden oder Prägemaschinen auch unterschiedliche Beschaffenheiten?
Franquinet: Das kann man durchaus sagen. Belgien hat bis vor einigen Jahren seine Münzen im eigenen Land selbst geprägt und ich habe schon öfters den Spruch gehört: „Die haben nur Fehlprägungen gemacht.“ Die Gründe dafür lassen sich nicht herausfinden, aber es gibt Phänomene wie beispielsweise eine deutlich sichtbare Rille zwischen dem Innen- und dem Außenteil der Euro-Münzen, die gehäuft in Belgien aufgetreten sind. Auch hierbei handelt es sich nicht um Fehlprägungen oder anderweitige Abweichungen mit Sammlerwert.
Welchen Stellenwert hat der Handel mit echten Fehlprägungen in Deutschland aus Ihrer Sicht? Ist es eine Nische?
Franquinet: In der Numismatik haben wir verschiedene Sammelgebiete: Kaiserreich, Weimar, Drittes Reich. Jeder Händler hat bestimmte Schwerpunkte. Bei Fehlprägungen kann man das nicht unterscheiden, denn das Gebiet „Fehlprägungen“ an sich ist zu klein für eine ähnliche Differenzierung. Deshalb wird es nur wenige Händler geben, die sich schwerpunktmäßig mit Fehlprägungen beschäftigen – aber Fehlprägungen sind für die meisten Händler und Auktionshäuser definitiv ein Thema.
Wenn ich mir eine beliebige Auktion in Deutschland heraussuche, werden dort fast immer Fehlprägungen mit dabei sein. Emporium verkauft regelmäßig Fehlprägungen, Künker versteigert Fehlprägungen, Möller hat eine ganze Menge Fehlprägungen, mein Kollege Andreas Fenzl aus Göttingen bietet in seinem Shop über 4.000 Fehlprägungen an. Und bei solchen Auktionen, die allesamt von renommierten Häusern mit einer hochgradig kundigen Kundenklientel durchgeführt werden, führt das Wort „Fehlprägungen“ dazu, dass solche Stücke zu sehr hohen Preisen gehandelt werden.
Es ist schade, dass in der Öffentlichkeit immer nur die Zwei-Euro-Münzen im Rampenlicht stehen. Ganz wichtig ist aus meiner Sicht deshalb, dass Fehlprägungen nicht auf Euro-Münzen beschränkt sind, sondern dass Fehlprägungen gerade in den vorher genannten Gebieten teilweise exorbitante Ergebnisse in seriösen Auktionen erzielen – ich denke da nur an das Kaiserreich oder Weimar. In den Niederlanden ist ausgerechnet eine Fehlprägung eine der teuersten Münzen.
Wenn jemand meint, im Wechselgeld oder in Opas Sammlung oder im Sparstrumpf zwischen den alten D-Mark Münzen eine potenziell wertvolle Fehlprägung zu finden, wie sollte man sie überprüfen, bevor man sich Hilfe beim Händler holt oder die Mühe macht, die Münze in eine Online-Auktion einzustellen?
Franquinet: Ich wünsche mir zu allererst, dass die Leute mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen. Ich habe in 40 Jahren als Händler und Sachverständiger nur einmal eine Fehlprägung in meiner Brieftasche gefunden. Außerdem sollten sie prüfen, ob der vermeintliche Prägefehler deutlich ist und nicht durch alltäglichen Gebrauch oder mutwillige Beschädigung entstanden ist. Wenn die Leute aber trotzdem meinen, dass es der ganz große Fund ist, dann dürfen sie mich gerne anrufen.
Wie gehen Sie mit der Flut an Anfragen um, die aufgrund der verbreiteten Annahmen über den Wert von Fehlprägungen entstehen?
Franquinet: Das ist für mich völlig in Ordnung. Ich habe jeden Tag fünf oder sechs Anrufe. Ich gebe ihnen am Telefon die benötigte Auskunft und per Mail leite ich ihnen den Flyer des Berufsverbandes weiter, um bestimmte wiederkehrende Fragen nicht ständig neu formulieren zu müssen. Ich bitte sie auch, mir Fotos zu schicken, die Münze möglichst genau zu beschreiben und vorab selbst einmal sorgfältig zu recherchieren.
Regelmäßig sage ich den Leuten dann: „Es tut mir wirklich leid, ich hätte Ihnen gerne die Million gegönnt, aber heute sind sie nicht dabei.“ Dann lachen die Leute und haben trotz der schlechten Nachricht ein gutes Erlebnis, denn sie wussten im Hinterkopf schon, dass es Quatsch ist.
Ich habe nämlich eine interessante Beobachtung gemacht: Die meisten Menschen, die mich anrufen, sagen: „Ja, das habe ich mir schon gedacht.“ Was haben sie sich also gedacht? Dass die Preise, die in Online-Auktionen oder Zeitungsartikeln stehen, nicht stimmen können. Ich habe den Eindruck, dass die Leute einfach unsicher sind und sich nicht die Blöße geben wollen und sich lieber einmal rückversichern, bevor sie eventuell doch eine Fehlprägung haben.
Aber wird ist es nicht irgendwann anstrengend, diese Frage fünf- oder sechsmal am Tag zu beantworten?
Franquinet: Jeder meiner Kunden war irgendwann einmal ein Interessent. Wenn ich freundlich mit den Leuten umgehe, wie groß ist dann wohl die Chance, dass man meinen Namen weitergibt? Oder sich an mich erinnert, wenn eine Erbschaft bewertet werden muss oder eine Goldmünze beim Aufräumen auftaucht und eine Expertise nötig ist? Die Leute merken es sich, wenn sie gut behandelt wurden, manche schreiben sich sowas sogar auf und kommen nach vielen Jahren darauf zurück. So haben die vielen Anfragen auf lange Sicht durchaus etwas Gutes für mich und mein Geschäft. Wie sagt man doch so schön: „Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck.“